April 2025
- 10 Tage Vipassana
- 2 Tage An- und Abreise
- Anmeldung online
- Anreise planen
- Code of discipline lesen
- Gratis (Spenden erwünscht)
Im November 2023 liege ich krank in einem stickigen Hostelzimmer in Mérida, Mexiko. Ich bin ausgelaugt, habe Fieber und wirklich keine Lust, mit jemandem zu reden. Ein britischer Backpacker ignoriert mein genervtes Gesicht und quatscht mich trotzdem an. Und weil er irgendwie sympathisch ist, lasse ich mich darauf ein. Wir sprechen über Mexiko, das Reisen, das Hostel-Leben. Irgendwann erwähnt er, dass er in Asien ein Vipassana gemacht hat.
Ich habe keine Ahnung, was das sein soll. Zehn Tage meditieren, schweigen, kein Handy, kein Buch? Klingt nach Folter. Aber irgendwie wirkt er so begeistert, so positiv und seine Augen leuchten richtig. Das bleibt so bei mir hängen, dass ich beschließe: Irgendwann mache ich das auch!
Inhalt
ToggleWas ist ein Vipassana?
Vipassana ist eine der ältesten Meditationsformen Indiens und bedeutet so viel wie „die Dinge sehen, wie sie wirklich sind“. Überliefert vom Buddha selbst, wird sie heute in vielen Teilen der Welt nach der Tradition von S.N. Goenka gelehrt. Das Prinzip: zehn Tage völlige Stille, ein strukturierter Tagesplan mit etwa zehn Stunden Meditation täglich und der Verzicht auf jegliche äußere Ablenkung.
Ziel ist es, den Geist zu schulen – durch Beobachtung und Achtsamkeit. Es geht nicht darum, die Welt da draußen zu verstehen, sondern die eigene Innenwelt.

Ablauf eines Retreats
Das Vipassana-Retreat dauert 10 Tage, man muss aber 12 Tage einplanen, denn Tag 0 und Tag 11 dienen der An- und Abreise.
Der Tagesablauf ist strikt:
🕓 4:00 Uhr Aufstehen
🧘♀️ 10 Stunden Meditation
🥣 2 – 3 einfache Mahlzeiten
🛏️ Schlaf in einer schlichten Zelle
Kein Sprechen, kein Blickkontakt, kein Schreiben, kein Sport. Für zehn Tage zieht man sich komplett zurück – äußerlich und innerlich.
Ich hab mein Vipassana im Dhamma Latthika in Battambang in Kambodscha gemacht. Es gibt viele Zentren auf dem ganzen Globus verteilt. Auf der Internetseite findet ihr alle eingetragenen Standorte.

Meine Erfahrung im Dhamma Latthika
Ankommen in Battambang
Im April 2025, also anderthalb Jahre nach dem Gespräch in Mexiko, stehe ich vor einem großen Tor in Battambang, Kambodscha. Es ist heiß, staubig, und ich frage mich, ob das wirklich eine gute Idee war. Männer und Frauen werden direkt am Eingang getrennt. Im Speisesaal füllen wir einen Zettel aus, geben unsere Telefone ab und bekommen Nummern zugewiesen. Ich bin 38F. Nach der Anmeldung darf ich meine Zelle in Augenschein nehmen.
Mein Zimmer ist schlicht: ein Bett, ein Regal, ein Ventilator, ein Meditationskissen. Kein Schnickschnack, kein Luxus – aber funktional. Ich richte mich ein, laufe etwas über das Gelände, alles wirkt ruhig und geordnet. Beim Abendessen sitzen alle schweigend am zugewiesenen Sitzplatz mit dem Gesicht zur Wand. So werden wir die nächsten Tage beim Essen immer sitzen und dabei jeden Blickkontakt vermeiden. Am Abend gibt es die erste Meditation, bei der mir schon der Rücken weh tut und die Beine einschlafen. Mit dem Ende der Meditation beginnt das Noble Schweigen.
Ab 21:30 ist Schlafenszeit. In der Zelle ist es heiß, und obwohl alles in Ordnung ist – Essen, Unterkunft, Hygiene – fühlt sich der Ort auf eine seltsame Weise streng an. Nicht bedrohlich, aber klar begrenzt. Wie eine freiwillige Auszeit vom Leben da draußen.
Die ersten Tage: Kampf im Kopf
Um 4 Uhr weckt uns der Gong. Um 4:30 sitzen wir zur ersten Meditation in der Dhamma Hall. Die kambodschanischen Teilnehmerinnen tragen alle Weiß – eine regelrechte Geisterparade, dazu noch in völliger Stille. Leider hat uns keiner in den Dresscode eingeweiht und so erkennt man die sieben westlichen Teilnehmerinnen immer gut an der farbigen Kleidung. 4:30 Uhr ist definitiv nicht meine Zeit. Ich bin müde, überfordert, mein Geist springt unkontrolliert herum. Konzentration auf die Atmung? Schön wär’s. Mein Körper tut weh, mein Rücken rebelliert und mein Gehirn wandert.
In den ersten Tagen üben wir eine vorbereitende Technik – eigentlich simpel, aber herausfordernd in der Umsetzung. Zehn Stunden am Tag still sitzen, ohne Musik, ohne Input, ohne Ablenkung. Kein Schreiben, kein Lesen, kein Yoga. Nur du und dein Kopf. Und was da so hochkommt, ist… einiges.
Ich beginne zu merken, wie sehr mein Geist ständig in der Vergangenheit oder Zukunft herumturnt. Es dauert ein paar Tage, bis er sich etwas beruhigt. Irgendwann schaffe ich es, 30 oder 40 Minuten bei mir zu bleiben. Kleine Fortschritte – aber sie fühlen sich groß an.
Tiefgang mit Widerstand
Mit der Zeit werden die Techniken vertieft. Es geht mehr um Beobachtung als um Kontrolle, um das Wahrnehmen feiner körperlicher Empfindungen – ohne darauf zu reagieren. Das ist in der Theorie einfach, in der Praxis manchmal kaum auszuhalten. Der Rücken schmerzt, die Beine schlafen ein, der Lehrer chantet über Lautsprecher und ich möchte manchmal einfach nur schreien. Das Problem ist, alles was Aversionen auslöst, blockiert den Fortschritt in der Technik. Ich versuche also trotz großer Abneigung zum Chanten, meinen Geist zu beruhigen und mich voll und ganz auf das Experiment einzulassen.
An Tag sieben frage ich endlich nach einer Lehne für meinen Rücken. Ich bekomme sie – mit stundenlanger Verzögerung – aber sie rettet mir buchstäblich den Hintern. Ab dann wird es ein bisschen besser und meine Schmerzen lenken mich nicht mehr zu sehr vom Meditieren ab.
Ich merke, wie die Tage beginnen, ineinander zu fließen. Der Rhythmus hat sich eingeschlichen. Morgens bin ich nur noch kurz in der großen Halle, den Rest meditiere ich in meiner Zelle. In den Pausen wandere ich im Garten herum, mache heimlich ein paar Dehnübungen, gehe duschen und wasche meine Wäsche.
Und dann, irgendwann, passiert es: Ich spüre zum ersten Mal, dass ich in der Meditation tiefer sinke. Nicht dramatisch, nicht erleuchtet – aber irgendwie näher bei mir. Ruhiger. An einem Tag habe ich sogar kurz das Gefühl, ein Stückchen über meinem Körper zu schweben.
Der Tag der Erlösung
Am zehnten Tag, nach der 8-Uhr-Meditation, wird das Schweigen gebrochen. Erst ein Zögern, dann ein leises Murmeln, dann ein plötzlicher Schwall aus Stimmen, Lachen, Freude. Es ist ein merkwürdiges Gefühl – als würde man in eine andere Realität zurückkehren.
Wir erzählen einander von unseren Erfahrungen, von den Hochs und Tiefs, vom ewigen Rückenschmerz. Wir unterhalten uns erstmal in unserer “Western Girls” Gruppe, aber schon nach kurzer Zeit kommen auch Kambodschanerinnen dazu und freuen sich, sich auf Englisch mit uns auszutauschen. Alle sind stolz, es geschafft zu haben. Und obwohl wir nur ein paar Tage gemeinsam schweigend gelebt haben, fühlt es sich an, als würde man alte Bekannte wiedersehen.
Am Nachmittag lernen wir noch eine Abschlussmeditation, die sich dem Mitgefühl und der Freundlichkeit widmet. Ich bin ehrlich gesagt schon wieder etwas überfordert, aber auch dankbar. Dieser Tag gehört zu den schönsten – nicht, weil alles vorbei ist, sondern weil das Schweigen plötzlich einen Wert bekommt, den ich vorher nicht benennen konnte.
Rückkehr ins Leben
Am elften Tag wird der Ort aufgeräumt, und das Packen beginnt. Die strengen Regeln lockern sich, und langsam schleicht sich der Alltag wieder in unsere Gedanken. Um einen sanften Übergang zu haben, haben wir uns ein Hotel außerhalb der Stadt gebucht. Der Schritt zurück in die Zivilisation fühlt sich fast surreal an. Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Meditationspraxis in meinen Alltag integrieren kann, aber ich bin unendlich dankbar, diese intensiven zehn Tage hier, in dieser besonderen Umgebung, mit genau diesen Frauen verbracht zu haben. Es war eine Erfahrung, die mich tief berührt hat und die, so oder so, einen bleibenden Einfluss auf mein weiteres Leben haben wird.
Fazit & Tipps
Vipassana ist kein Wellness-Retreat. Es ist unbequem, herausfordernd und manchmal wirklich hart. Aber es ist auch unglaublich ehrlich. Ohne Ablenkung taucht man tief – tiefer, als man es sich selbst vielleicht zutraut. Es ist eine Begegnung mit dem, was da ist, wenn alles andere still wird.
Wenn du mit dem Gedanken spielst, ein Vipassana zu machen, hier ein paar Dinge, die ich vorher gern gewusst hätte:
- Unterschätze es nicht: Zehn Tage klingen machbar, aber sie sind intensiv. Bereite dich mental darauf vor.
- Nimm nicht zu viel mit: Du brauchst kaum etwas. Bequeme Kleidung, vielleicht ein Tuch gegen die Kälte in der Halle und ein bisschen Tigerbalsam (glaub mir).
- Erwarte keine Wunder: Vipassana ist kein Zaubertrick. Aber wenn du dich einlässt, kann es ein leiser Wendepunkt sein.
Mach es, wenn du wirklich willst – nicht, weil es gerade „trendy“ ist. Du wirst Zeit mit dir selbst verbringen. Und das ist manchmal das Schwierigste – und Heilsamste – zugleich.
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